Wer will das lesen – Gedanken übers Schreiben

Erfahrungsbericht von Nicole Hochstrasser

Im Prinzip ist es ganz simpel, ein Buch zu schreiben.

Man setzt sich hin, man schreibt. Gerne auch frau. Im Idealfall hat man sich vor dem Hinsetzen und vor dem Schreiben schon ein wenig Gedanken gemacht. Zum Inhalt zum Beispiel, oder zu den Charakteren oder als Minimalvariante zur Hauptfigur.

Doch auch wenn nicht, kann es nicht so schwierig sein. Das Alphabet der deutschen Sprache stellt ja zum Schreiben nur eine beschränkte Anzahl Zeichen zur Verfügung, die es sinnvoll aneinanderzureihen gilt. 26, na ja, oder 29 wenn man die Sonderzeichen dazu nimmt.

Das ist so ein bisschen wie bei den Kantonen und Halbkantonen. Da weiss man auch nie so recht, von welcher Zahl man ausgehen soll. Im Endeffekt spielt es sowieso keine grosse Rolle, weil die Halbkantone von den Kantonen überstimmt werden.

Die Halbkantone sind quasi die Kinder unter den Kantonen. Man sagt ihnen ständig, wie gut und wichtig sie sind, aber am Schluss entscheiden dann doch die Erwachsenen, dass am Sonntagnachmittag alle gemeinsam spazieren gehen.

Also sind die Sonderzeichen Ä, Ö, Ü quasi die Kinder unter den Halbkantonen. Item.

Wir waren ja bei der beschränkten Auswahl von 26 oder 29.

Wussten Sie, dass jede etwas extravagantere Farbschachtel für Kinder mehr Auswahl bietet? Zumindest mit den Augen von Frauen und Mädchen betrachtet. Weil Männer und Knaben kennen ja eigentlich nur eine Farbtonleiter von ca. sieben Farben, während Frauen im gleichen Spektrum 29 Farbtöne unterscheiden. Man denke an Farben wie Fuchsia, Magenta, Lachs …

Unabhängig von Farbschachteln und Halbkantonen konstatieren wir also, dass alle Schreibenden nur über die Basisausstattung von 26 respektive 29 Buchstaben verfügen. Und das bringt uns nun definitiv wieder zum Schreiben zurück.

Also: denken, hinsetzen, schreiben. Aber wie? In welcher Form und in welcher Reihenfolge? Das sind gute und berechtigte Fragen. Auf jede davon werden Sie im Internet eine Antwort finden. Mindestens eine. Im Normalfall mehrere, nicht selten auch widersprüchliche … Wem das zu lange dauert oder wer dies zu anstrengend findet, der sucht für sein Buch am besten gleich unter dem Begriff ‘Ghostwriter’.

Nur, so hatte ich mir das für mein Buch natürlich nicht vorgestellt. Hatte ich doch den Anspruch, dass wenn mein Name auf dem Einband stehen würde, der Inhalt durchaus meinen Gedanken entsprungen sein sollte. Schliesslich hat jede gute Berufsperson ein gewisses Arbeitsethos, einen sogenannten Handwerksstolz.

Gerade im klassischen Handwerk, kennt man den durchaus noch. Und Schreiben ist ja Handwerk, also Handarbeit, oder eher Tastarbeit und Tastwerk? Ja, Tastwerk passt. Denn man tastet sich an den Buchstaben ab und tastet sich an die Geschichte heran. Man tastet vorwärts, rückwärts, rauf und runter und auch regelmässig über die ‘Delete’ Taste.

Und wenn wir schon bei Handwerk – also Tastwerk – sind, dann gehört natürlich auch die Leidenschaft dazu. Leiden. Natürlich muss man beim Schreiben auch leiden. Wie könnte man sonst aus Leidenschaft schreiben? Etwas erschaffen, etwas hervorbringen, dass genauso noch nie hervorgebracht wurde.

Am vergleichbarsten wäre hier die Analogie zur Geburt. Da steht auch die Leidenschaft ganz am Anfang des Prozesses. Die neun Monate der Schwangerschaft gehen meist ebenfalls mit mehr oder weniger Leiden einher. Die Geburt sowieso. Und geschafft ist man danach auch. Wenn nicht von der Geburt, dann vom Schlafmangel, der früher oder später mit Sicherheit zuschlagen wird!

Gut, also eigenes Hand- beziehungsweise Tastwerk. Gut, also mit Leidenschaft erarbeiten. Was noch? Vielleicht doch zuerst zur Vorbereitung noch einmal rasch den neuesten Bestseller lesen oder das Lieblingsbuch aus Kindertagen.

Dumm, wenn es Momo von Michael Ende war, mehr als 300 klein- und dichtgedruckte Seiten. Oder gleich die unendliche Geschichte? Denn wer versteht einen leidenschaftlichen Leser besser als Michael Ende, der schreibt: «Wer niemals ganze Nachmittage lang mit glühenden Ohren und verstrubbeltem Haar über einem Buch sass und las und las und die Welt um sich her vergass, nicht mehr merkte, dass er hungrig wurde oder fror – Wer niemals heimlich beim Schein einer Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hat (…).» Nein, das würde nun zu weit führen die ganze Passage abzuschreiben. Sie wollen sich ja mit dem Schreiben auseinandersetzen, nicht mit dem Lesen.

Gut, dennoch gehen sie in die Buchhandlung Ihres Vertrauens. Wenn sie tatsächlich so eine besitzen, wird fast unmittelbar klar, dass Sie soeben Ihre Aussicht auf Erfolg beim Schreiben vertan haben. Bücher kaufen geht ja viel schneller als Bücher lesen und so viel schneller als Bücher schreiben.

Wer schon einmal in einer Buchhandlung war, weiss ausserdem genau, dass die Auswahl es einem kaum ermöglicht, sich für EIN Buch zu entscheiden. Zumindest bei mir ist das so. Wenn ich mal wieder sechs Bücher auf dem Arm habe und dann schweren Herzens drei zurücklege, freue ich mich 50% gespart zu haben. Mein Mann liebt mich für diese Logik. Und ich mich auch. Denn ich habe nicht nur 50% Geld gespart, sondern auch 50% Zeit. Zeit, die ich für das Lesen von den drei zurückgelegten Büchern verwendet hätte. Zeit, die mir nun wieder zum Schreiben zur Verfügung steht. So werden aus Verlusten auf einmal Gewinne. Wahnsinn!

Beim Verlassen der Buchhandlung frage ich mich noch, ob ich mich hier eigentlich auch sperren lassen könnte. So wie das für Spielsüchtige bei Casinos möglich ist. Doch warum sollte jemand dies freiwillig wollen? Lesen bildet, das ist allgemein bekannt. Und auch mit dem dümmsten Buch in der Hand macht man im Wartezimmer beim Zahnarzt einen klügeren Eindruck als ohne.

Und lassen Sie sich bei dieser Gelegenheit gleich einmal gesagt sein, dass ein richtiges Buch – also 3D und gebunden — in Sachen Kultiviertheit jeden e-Reader schlägt.

Doch irgendwie sind wir schon wieder beim Lesen gelandet, dabei geht es doch bei diesem Text ums Schreiben.

Gut, Lieblingsbücher lesen, denken, hinsetzen, tasten. So weit so gut.

In meinem Fall habe ich mich für eine Abenteuergeschichte für Kinder entschieden. Eine Website hat empfohlen, das Alter der Leserschaft klar einzugrenzen. Dies sei für die Verlage unglaublich wichtig. Ich schreibe das Buch eigentlich ‘nur’ für meine eigenen Kinder. Aber das hat J. K. Rowling der Legende nach ja auch getan. Nun stellen sie sich einmal vor, sie hätte nicht von Anfang an ganz genau gewusst, ob sie das Buch nun für acht- bis zehnjährige oder für zehn- bis zwölfjährige Kinder verfasst. Denn auch da gibt es Regeln, was den Inhalt betrifft. Ob zum Beispiel geküsst, gekämpft oder gestorben werden darf. Stellen sie sich vor, Rowling hätte Band eins von Harry Potter mit nahezu 400 Seiten fertiggestellt und danach feststellen müssen, dass die Altersspanne nicht den Verlagsnormen entspricht. Undenkbar. Das heisst, das Alter sollte geklärt sein, sonst ist die Aussicht auf einen unverhofften Verlagsvertrag und kommerziellen Erfolg schon im Keim erstickt.

Und wenn Sie sich jetzt denken, das stimmt gar nicht, Harry Potter ist ja ein klassischer All-Ager und bombastisch erfolgreich geworden, dann denken Sie selbstverständlich richtig. Grundsätzlich sollten Sie jemandem der Geschichten schreibt, nicht alles glauben. Diese Menschen leben ja von der Erfindung.

Abgesehen davon, empfiehlt es sich generell im Leben, Dinge zu hinterfragen, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Fake News sind ja schon längst keine Fiktion mehr. Fiktion hingegen bringt mich wieder zum Prozess des Buchschreibens zurück. Hier kann ich ihnen übrigens gleich versprechen, dass der gesamte Inhalt meines Buches ‘fake’ ist. Alles erstunken und erlogen. Die Frage ist nur, für welche Altersklasse.

Dummerweise waren meine Kinder zum Zeitpunkt des Schreibens 8 und 11 Jahre alt. Also in einer Spannbreite, die sich literarisch nicht vereinbaren lässt. Langsam tauchten mir schon Bedenken auf, welches meiner Kinder ich in der Vergangenheit mit den gemeinsamen Gute-Nacht Geschichten wohl über- oder unterfordert, wenn nicht gleich traumatisiert hatte.

Wobei ich eher den Eindruck habe, dass ich – von den immer wieder gewünschten Geschichten vom Tiger und Bären in Panama – selbst ein Trauma erlitt. So hatte ich phasenweise den Eindruck, der Autor sende mir Botschaften über meine unterentwickelten Hausfrauenqualitäten. Denn ich erkannte mich im wenig tauglichen Tiger wieder, der lieber irgendwo im Wald herumträumte, anstatt Pilze fürs Abendessen zu sammeln. So, dass mein Mann, der fleissige und gewissenhafte Bär, dann wieder nur Bouillonsuppe mit Fettaugen und Semmelbröseln kochen konnte.

Aber davon erzähle ich Ihnen nun mal lieber nichts, sonst halten Sie mich noch für verrückt! Und wer würde schon das Buch einer Verrückten lesen wollen?

www.nicoleschreibt.ch

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