Leben in Griechenland

Aus: Therese Tschanz, Mein wildes und kostbares Leben

Die Mitarbeitenden und jungen Menschen des Heimes waren erstaunt, als wir im Herbst noch in Lakkia waren, reisten doch die meisten Praktikantinnen ab, wenn der Sommer vorbei war. Ich verstand immer mehr Griechisch und es gelang mir, in dieser sehr schönen, schwierigen Sprache einfache Sätze zu sagen. Wir, Regina und ich, knüpften tiefere Kontakte mit den Mitarbeitenden und den Bewohnerinnen des nahegelegenen Dorfes Lakkia. Die jungen Männer konnten uns nicht mehr auf den Arm nehmen, wir verstanden schon viele Wörter.
Wir führten ein einfaches Leben, geprägt durch die Mitarbeit in der Werkstatt und die Essen, die wir mit allen gemeinsam einnahmen sowie der Freizeit, die ich mit Regina verbrachte. Wir zwei machten Ausflüge nach Thessaloniki, zum Erkunden der Stadt. Das Essen war schmackhaft, einfacher, als ich es von der Schweiz her kannte. Regelmässig gab es Linsen, weisse Bohnen an einer Tomatensauce, Teigwaren mit Sauce, am Sonntag meist Fleisch mit feinen gebratenen Kartoffeln. In der Pause, beim griechischen Kaffee, den wir mit Theo dem Heimleiter einnahmen, gab es Oliven, Früchte oder auch mal Halfa.
An den Wochenenden wurde nicht gearbeitet. Die jungen Menschen nutzten die Zeit zum Fussballspielen, Fernsehen, Brett- oder Kartenspielen. Anders als wir es uns in der Schweiz gewohnt sind, unternahmen sie wenig. Manchmal machten wir mit ihnen Spaziergänge. Oftmals spazierten wir mit den jungen Männern, die wollten, in das kleine Dorf Lakkia, um etwas trinken zu gehen. Dort hatte es nebst wenigen Häusern zwei Kafenions und eine kleine Kirche. Damals war es nicht üblich, dass Frauen in das Kafenion gingen. Regina und ich durften. Auch hier wurden wir sehr respektvoll behandelt. Mit zunehmenden Griechischkenntnissen ergaben sich interessante Gespräche.
Zu Falitsa, der griechischen Psychologin in der Werkstatt, vertiefte sich der Kontakt immer mehr. Sie lud uns hie und da ein, zu einem feinen Essen in einer Taverne in Thessaloniki. Der Tisch bog sich unter den zahlreichen Tellerchen mit Tsatsiki, Auberginensalat, griechischem Salat, gebratenen Tintenfischen, Hackfleischbällchen, Pommes Frites und vielen Köstlichkeiten mehr.
Mir gefiel die griechische Musik. Ich kaufte für wenig Geld Kassetten von Giorgos Dalaras und Xaris Alexiou und genoss die wunderschöne, lebensfrohe, aber auch schwermütige Musik. Die griechische Musik, im Besonderen die Musik der genannten Interpreten: innen, wird mich weiter begleiten, beflügeln und mir immer wieder ermöglichen, mich mit Griechenland, Fernweh und schönen Erinnerungen zu verbinden.
Vor Weihnachten reisten Regina und ich mit dem Zug nach Hause, um das Fest zu Hause zu feiern. Es war schön, mit meiner Familie zusammen zu sein. Anschliessend reiste ich für eine Woche zu Maud nach Schweden, wo ihre Tochter Anja getauft wurde, von ihr war ich Patin geworden.
Mitte Januar reisten Regina und ich zurück nach Thessaloniki. Es war kalt, sehr windig und das Haus war nicht gut beheizt. Hie und da schneite es ein wenig und der ganze Verkehr brach zusammen. Ich fuhr einmal bei kaltem Wetter ans Meer und genoss es, das stürmische Meer zu sehen, es ohne andere Touristen geniessen, anschauen zu können. Ich freute mich, als es Frühling wurde und wir uns in der Freizeit wieder vermehrt draussen aufhalten konnten. Mir gefiel das Leben hier gut, die Sprachkenntnisse wurden zusehends besser. Mit dem wenigen Geld, das wir hatten, kamen wir zurecht.
Mit der Zeit spürte ich, dass ich gerne eine Stelle in der Schweiz annehmen würde. Ich bewarb mich in einem Heim in Bern, in welchem ich in der zehnten Klasse für einen Tag Schnuppern war. Ich bekam die Stelle auf Anfang September. Wir erlebten nochmals einen griechischen Sommer mit viel Sonne, Hitze, Gästen, vielen Wassermelonen und Ausflügen ans Meer. Dann nahmen wir Abschied von diesem wunderschönen Land mit seinen sehr liebenswürdigen und gastfreundlichen Menschen. Der Abschied tat weh.
Ich hatte vor vierzig Jahren Gelegenheit, ein Griechenland kennenzulernen, das ich nie vergessen werde. Ich war oft am Meer, genoss die Wärme, das Licht. Auch wenn es dort im Norden von Griechenland nicht wie auf einer griechischen Insel aussieht, mit weissen Häuser und wundervollem Licht, habe ich das Einfache, Ursprüngliche, Karge genossen. Für mich war beeindruckend, wie gut wir in Kontakt mit den Menschen gekommen sind. Dadurch, dass wir zusammenarbeiteten, lebten, gemeinsam Ostern feierten, erfuhr ich viel über das Land und seine Menschen und knüpfte Kontakte, die ich weit über diese Zeit hinaus pflegte. Ich bin sehr stolz, dass ich den Mut hatte, auch wenn es hie und da schwierig und die Sprache eine Herausforderung war. Ich bin sehr dankbar, dass ich Regina kennenlernen durfte. Sie war für mich wie ein Stück Heimat und Sicherheit. Manchmal frage ich mich, wieso war, ist, diese Sehnsucht und Verbundenheit mit Griechenland so gross? Ich finde keine schlüssigen Antworten.

 
Zurück
Zurück

Hirnmetastasen sind weg

Weiter
Weiter

Identifikation