Ein Traum zeigt die Lösung

aus: Magdalena Fröhlich Zbinden, Synchronizität, Magie des Lebens

An zwei Schulen zu arbeiten, an Wochenenden und in den Ferien mit den Kindern immer ein auf sie zugeschnittenes Programm zu bewältigen mit meinem Liebsten, daneben die Korrekturen planmässig abzugeben und die grösser werdenden administrativen Arbeiten für meinen Job in der Nacht oder in der Frühe zu erledigen neben der Wäsche, den Steuern und den Einkäufen – und nicht zuletzt Sorge tragen zu den beiden Müttern, die wir so oft besuchten wie möglich – heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, wie wir dies alles schafften zusammen. So waren Ferien zu zweit, nur mit dir und mir, eine seltene Erholungspause.

Doch als ich anfing, doppelt zu sehen, war es echt zuviel. Ich war sowieso schon als einäugiger Mensch und kurzsichtige Lehrerin mit einem Handicap unterwegs, das ich aber wettmachte mit Zuverlässigkeit und Menschlichkeit. (Von mir aus gesehen Qualitäten in einem Schulbetrieb, von meinen Fachschaftsoberen aus gesehen Hindernisse zu einem einheitlichen Notendurchschnitt, und Quelle nie endender Diskussionen und Querelen. Meine untergeordnete Stellung machte es möglich, mich nicht total mit diesem Umfeld zu identifizieren. Dass ich etwas weniger verdiente in dieser Stellung und keine Sicherheit der Anstellung damit verbunden war in den ersten 20 Jahren, konnte ich dank meiner Unabhängigkeit wegstecken.)

Nun sah ich statt zwei Augen in einem Gesicht vier Augen, statt einem Schwan auf dem See zwei in einem klar gegebenen Winkel schräg nebeneinander, und statt einem Sichelmond einen Scherbenhaufen. Als ich die Sterne gar nicht mehr sah, fing ich an zu weinen. Mein Mann tröstete mich, und versicherte mir, auch falls ich blind würde, würde er mich lieben und zu mir schauen. Da könne ich sicher sein.

Ich suchte einen neuen Augenarzt, da der bisherige nicht in der Lage war, etwas an der Situation zu ändern, trotz neuem Brillenrezept. Die Augenärztin war sehr nett, aber natürlich, da ist etwas schiefgelaufen, sie brauchen einfach eine neue Brille. Schon wieder? Gut. Das änderte aber nichts an meiner verzweifelten Situation. Naja, nun muss sich wohl ihr Augenmuskel und Sehnerv noch entspannen, warten wir einmal einen Monat ab. Auch dies brachte keine Verbesserung. Ich merkte aber, dass ich den Himmel ohne Sterne nicht mehr dunkelblau sah beim Einnachten, sondern rabenschwarz – ich hatte dieses Blau geliebt… Nachts musste ich Treppen mit spärlicher Beleuchtung meiden, den hinteren Ausgang meiner Schule, wo alle munter treppab trabten, konnte ich abends nicht mehr benützen, ich sah keine einzige Stufe mehr.

Ich weiss dir einen erstklassigen Augenarzt… er hat nach einem Unfall mein Auge gerettet, sagte ein Bekannter. Das klang vielversprechend, also machte ich mich auf in die dritte Praxis. Am Tag vor meiner ersten Konsultation hatte ich einen Traum, der mich vor Angst zittern liess: ich sah ganz klar, wie ich in einem Spital unters Messer musste und meine unmittelbare Reaktion war genauso klar: nie im Leben lasse ich meine Augen operieren, kein Messer wird mir helfen können! An jenem Tag war ich fahrig, konnte keinen Namen meiner über hundert Studierenden auf Anhieb richtig sagen und mein Beruf erschien mir als Schwerstarbeit. Ja, ich hatte mir das Träumen mehrheitlich abgewöhnt, weil mich ein Traum noch durch den Tag begleiten konnte, je nachdem, was sein Inhalt war – und das konnte ich mir schlicht nicht leisten. Doch dass ein Arzt mit einem Messer zielstrebig auf mein Auge zugeht, das war der Gipfel des Horrors.

Der dritte Herr Doktor war sehr gründlich. Er liess mich für jede Untersuchung separat wiederkommen, am Schluss wollte er noch alle Brillenrezepte seit meinen Kindergartentagen und wir verstanden uns immer weniger: sie haben nie wirklich gut gesehen, mit ihrem Star Polaris. Doch, ich bin sogar in der Lage gewesen nachts Auto zu fahren. Heute würde ich mich sogar am Tag nicht mehr getrauen. Sind sie jetzt nachtblind? (Was für ein Ausdruck, nein ich bin nicht blind!) Ehm, naja, nachts sehe ich fast nichts, weil mich auch alle Lichter blenden. Kommen sie in drei Wochen wieder, ich bin jetzt dann in den Ferien…

Meine Angst, dass mir niemand helfen könne, wurde immer bedrückender, gleichzeitig korrigierte ich brav meinen riesigen Anteil an Prüfungsaufgaben bis in die Nacht hinein mit dem hellsten Licht, das mein Liebster extra gekauft hatte für mich.

Es gab damals noch das Telefonbuch – ich konnte es schon lange nicht mehr lesen, auch wenn die Buchstaben nicht sehr klein waren, es gelang mir irgendwie einfach nicht mehr, einen Namen zu entziffern, was mich sehr traurig machte.

Wir hatten nun Ferien, und im Meer mit den Wellen und meinem Geliebten zu spielen gab mir jeweils für einige Augenblicke etwas Verschnaufpause von meinen Sorgen. Eine extreme Welle, vor der ich geflohen war, warf ihn um und zog ihm die Brille ab – gut hatten wir beide immer eine Reservebrille von früher dabei im Hotel. Wir machten uns also im nahe gelegenen Hotel frisch und gingen ins beste Restaurant des Städtleins, wo ich vom Kellner lernte, wie man einen ganzen frisch gebratenen Fisch von den Gräten befreit. Dann schauten wir von der Terrasse auf die Strasse hinab… ich sah nicht einmal mehr wieviele Menschen da unten dem Meer entlang spazierten und klagte mein Leid.

Da sagtest du, Liebster, auf einmal zu mir: schau doch einmal durch meine Brille! Wie bitte? Ich brauchte eine Sekunde Zeit, um nicht meinen ganzen Frust mit der angesammelten Wut auf dich loszulassen, so im Stil von: haste sonst noch eine «gute Idee», die sicher nicht funktioniert? Meinst du denn, was drei Augenärzte nicht fertig gebracht haben, könnest du so simpel auflösen? Deine Augen und meine Augen sind doch nicht dasselbe, das weiss doch jedes Kind. – Aber ich nahm mich zusammen, lächelte etwas gezwungen und nahm deine Brille, die du mir bereits hinstrecktest, setzte sie auf… schaute auf die Menschen auf der Rambla am Meer hinab: es verschlug mir die Sprache: ich sah jeden einzelnen Menschen ganz klar, nicht mehr so verschwommen wie vorher, ich sah die Namen auf der Speisekarte, ich sah deine Augen, zwei, nicht vier Augen und ich flog dir um den Hals!

Am nächsten Tag gingen wir wieder zum Strand am Meer, wo deine Brille irgendwo tief im Sand sein musste, nur so, man weiss ja nie… und du fandest – zwar nicht deine Brille, doch einen goldenen Anhänger: «Das Meer entschuldigt sich bei mir!», meintest du lachend!

Daheim war es einfach, beim Optiker mit deinem Grad der Hornhautverkrümmung und meinen restlichen Daten eine Brille machen zu lassen, mit der ich für kurze Zeit wieder fast normal sah. Einen Schwan, einen Mond, zwei Augen im Gesicht meines Gegenübers! Nach zwei, drei Wochen hatte sich allerdings dies alles wieder zu verschieben begonnen…

Gottseidank gab mir dann eine Kollegin der Schule am See noch eine neue Adresse von einem Professor Huber, der ihrem Mann hatte helfen können: er konnte mir in zwei Stunden statt in zahlreichen teuren Sitzungen erklären, was los war: den Star Polaris haben Sie schon immer, der hat sie noch nie besonders gestört, da kann man darum herum schauen. (Aha! Genau, dies stimmte ganz mit meiner Erfahrung überein.) Dass sie nachts so wenig sehen kommt von einer Linsentrübung, und weil Sie noch keine 40 Jahre alt sind, ist halt niemand auf die Idee gekommen, dass sie schon unter dem Grauen Star leiden könnten. Ich sehe das aber ganz deutlich. Das kann operiert werden (AHA, mein Traum!) Es ist eine einfache Operation, doch wollen wir zuerst mal schauen wie ihr Augendruck… Wie Puzzleteile fielen nun die einzelnen Stücke zu einem Ganzen zusammen und mir war sofort klar: mein Traum hatte mir die richtige Lösung angeboten… Im Gegensatz zu den verwirrenden Fragen des vorigen Arztes, die mich beängstigten, verwirrten und bedrückten, machte mich die klare und offene Art dieses Mannes, mit Aussagen, die meine Erfahrung bestätigten, ruhig und zuversichtlich: es gab tatsächlich eine einfache Lösung… sie hatte sich dank der intuitiven Frage meines Liebsten schon in den Ferien abgezeichnet. Mir fiel ein riesiger Berg von Sorgen von der Seele und ich konnte wieder lachen.

Nach der Operation, für die ich eine ganze Woche im Spital war, fing für mich ein neues Leben an. Als ich wieder Gesichter sah im Vorbeigehen, war dies das schönste Geschenk: wieder mit den Augen andere Augen grüssen, im Kontakt sein statt abgeschnitten. Und du, mein grosser Schatz, ludest mich in die Urania Bar ein zum Feiern, ein über Zürich schwebendes Rondell, von wo ich bis zum See schauen konnte und mich einfach mit dir zusammen am wiedergewonnenen Augenlicht freuen. Den Mond nicht mehr als Scherbenhaufen sehen sondern als Mond. Die Sterne wieder im samtblauen Himmel funkeln sehen und an dich gelehnt, in kalten Winternächten, den Sirius über unserer Treppe im Tessin betrachten, werweissen, was dies alles wohl bedeutet, wir hier auf diesem Planeten, und in diese Nacht staunend.

 
Zurück
Zurück

Oja, was hast du bei den Nonnen erlebt?

Weiter
Weiter

Prolog & Die Wohnung