davon [Ausschnitt]

aus: Janine Teissl, davon

Tag 0 – 4. Januar 2018

schweiz – kanton bern – bern
davon

Am Tag, an dem ich mein Zuhause in der Stadt Bern verliess – Bern mit dem wunderschönen Blick auf die Alpen und mit der die Stadt zweiteilenden wunderbaren Aare – konnte ich nicht viel über meine Reise, die vor mir lag, nachdenken. Vor allem dachte ich an all die Dinge, die ich noch erledigen musste. In letzter Minute die letzten Sachen in meinen Rucksack packen, in allerletzter Minute einzelne Sachen wieder auspacken und neben dem Packen noch ganz vieles mehr, um meine Wohnung für meine Untermieterin vorzubereiten. Nachdem ich es trotz wachsendem Schlafmangel und schwindender Energie doch irgendwie geschafft hatte, alles zu erledigen, und darüber hinaus sogar noch rechtzeitig den Zug erwischte, kam ich bereits am Flughafen in Zürich ziemlich erschöpft an. Beim Check-In zumindest für eine Weile meinen schweren Rucksack loszuwerden, fühlte sich zumindest ein wenig erleichternd an.

Die Abschiede von meiner Familie und von meinen Freund:innen in der Schweiz und in Österreich hatte ich schon hinter mir und die letzten Minuten in Zürich verbrachte ich mit meiner Zwillingsschwester. Beim letzten Kaffee, den wir zusammen tranken, löste sich langsam meine Anspannung, die ich seit einer unbestimmbaren Zeit spürte, und es brach eine unbestimmbare Menge an Tränen aus mir heraus. Ich umarmte meine Schwester unbestimmbar lange zum Abschied. Es war ein Abschied für eine unbestimmbar lange Zeit, die ich mir als ungefähr ein Jahr vorstellte und noch keine Vorstellung davon hatte, dass es eine noch viel längere Zeit werden sollte, bis wir uns wiedersehen würden. Erst nach 817 Tagen in Südamerika sollte ich wieder nach Europa zurückkehren.

Heute kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wann ich damit anfangen konnte, mehr über meine Reise, die vor mir lag, nachzudenken. Eine Reise, die mich zu einer unbestimmbaren Anzahl von unterschiedlichen Orten führen sollte, die meisten von ihnen mit einem wunderschönen Blick auf umgebende Berge, einige von ihnen mit einem den Ort zweiteilenden wunderbaren Fluss. Und ein paar von ihnen sollten jeweils auch für eine Weile zu meinem Zuhause werden.

 

tag 4 – 8. januar 2018

argentina – provincia de río negro – bariloche
erste eindrücke

Die ersten Eindrücke, die ich von Bariloche aus von der umgebenden Landschaft sammeln konnte, waren spektakulär. Und so waren es meinen Vorstellungen entsprechend auch die Aussichten von oben. Am Nachmittag meines ersten Schultages in der Spanischschule wanderte ich auf den Cerro Campanario. Als ich seinen Gipfel erreichte, beendete der Sessellift gerade seinen Betrieb. Wir wenigen Menschen, die zu Fuss unterwegs waren, konnten in Ruhe die wunderschönen Aussichtspunkte in alle Richtungen erkunden.

Auf der Busfahrt zurück nach Bariloche kam ich mit einer anderen alleinreisenden Frau ins Gespräch. Wir unterhielten uns angeregt und redeten unter anderem über Sorgen und Ängste, mit welchen wir vor unserer Abreise und auch während unserer Reise konfrontiert wurden – von uns selbst, aber noch mehr von anderen bekannten und auch unbekannten Menschen. Die Frage, die uns beiden am häufigsten gestellt wurde, war, ob wir keine Angst hätten, alleine zu reisen. Als der Bus in Bariloche ankam, kramten wir beide unsere Smartphones hervor um nachzuschauen, wo wir aussteigen mussten. Wir schauten uns an und fingen an zu lachen – wir waren in einem für uns noch unbekannten südamerikanischen Land, in einer noch unbekannten Stadt und wussten dennoch genau, dass wir uns am richtigen Ort befanden.

Tag 24 – 28. Januar 2018

argentina – provincia del chubut – lago puelo
reisefamilien

Schon während dem ersten Frühstück in meinem Hostel lud mich einer meiner Hostelmitbewohner zum Mittagessen ein, das er für mehrere unserer Hostelmitbewohner:innen kochen wollte. Nach diesem köstlichen Mittagessen wurde die Tradition des gemeinsamen Essens bereits am selben Abend mit meinem ersten argentinischen Asado fortgesetzt.

An meinem zweiten Tag in El Bolsón machte ich mich zu einem Wandertag am Lago Puelo auf. Auf dem Rückweg zur Bushaltestelle am späteren Nachmittag kam ich mit einer netten kleinen argentinischen Wandergruppe ins Gespräch, der ich mich für den restlichen Weg anschloss. Zurück am Ausgangspunkt bot mir die Wandergruppe Mate an, den ich dankend annahm. Zu diesem Zeitpunkt meiner Reise schlürfte ich ihn noch etwas zurückhaltend, was sich aber natürlich mit der Zeit noch in die komplett gegenteilige Richtung entwickeln sollte. Wie für ein argentinisches Asado braucht man auch für Mate Zeit und Zeit versuchte ich, auf meiner Reise immer griffbereit zu haben – auch wenn es manchmal eine Weile dauerte, bis ich sie finden konnte. Später am Abend erwischte ich den letzten Bus zurück nach El Bolsón und kam recht spät in mein Hostel zurück. Als ich durch die Tür trat, hörte ich meine Hostelmitbewohner:innen erleichtert meinen Namen rufen und es stellte sich heraus, dass bereits die Polizei Bescheid wusste, dass ich zu so später Stunde noch nicht von meiner Wanderung zurückgekehrt war.

Nachdem wir uns alle beruhigt und der Polizei Entwarnung gegeben hatten, wurde mir gesagt ich solle mich hinsetzen. Mir wurde ein Teller mit dampfender Polenta vor die Nase gesetzt und ich war überwältigt, dass diese mir gestern noch unbekannten Menschen sich so sorgten, wo ich war, und sich so darum kümmerten, wie es mir ging. In den folgenden Tagen liess ich mir das gemeinsame Abendessen mit meiner Hostelfamilie nicht mehr entgehen und war jeweils rechtzeitig zu Hause.

 
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