Deine Feder

Aus: Magdalena Fröhlich Zbinden, Elfartig!


Federn haben es mir angetan. Schon immer habe ich mich gebückt, wenn eine Feder in meinem Weg lag und die grosse weisse Schwanenfeder unter meinen Bleistiften und Kugelschreibern zeigt es: Ich fliege gerne in Gedanken über die Weiten meiner Erinnerung und meiner Fantasie und lande immer wieder einfach dort, wo es mich hinzieht. Träumend oder schreibend, beides ist ja ziemlich ähnlich in einem Stadium, wo du als Wildgans anders tickst. Du ziehst dann völlig neue Abenteuer zu dir heran. Du vertraust auf den Wind, der dich trägt, auf die Freunde, die dir helfen, dich in ihre Mitte nehmen, wenn du zu müde wirst. Du vergisst sogar deine Skepsis und freust dich einfach am Rhythmus des Lebens, am Pulsieren und Vorwärtskommen, am gemeinsamen Schnattern und Plaudern mitten am Himmel, am Eintauchen in einen See und dich auch dort tragen lassen von den Wellen.

Einmal war ich in den USA in Süd-Dakota an einem eiskalten Winterabend vom Parkplatz zum Haus gelaufen, meine Nase war sofort zugefroren, und über mir hörte ich ein vielstimmiges Rufen und Hin- und Hersenden von Botschaften der Wildgänse, die, ohne sichtbar zu sein, eine ganze Viertelstunde lang über mich hin flogen. Tausende von geflügelten Wesen, zufrieden im Kontakt mit allen andern, und mit sich und der Erde und dem Himmel im Gleichgewicht. Ich staunte in den Himmel, sah nichts, hörte nur, was ich mir vage vorstellen konnte und war überwältigt. Denn in unseren Breitengraden gibt es sowas nicht. Die Zugvögel liessen sich gerne in der Mitte der kleinen Hauptstadt am «flaming fountain» nieder, weil das Wasser, von warmen Quellen gespeist, nie zufror. Ausserdem konnte man es anzünden, wenn es wie auf dem extra angelegten Brunnen etwas zum Sprudeln gebracht wurde – ein Wunder der Natur. Dort konnten sie trinken und dann, nach einer ausgedehnten Rast, weiter fliegen.

Du hast mir gestern die schönste Feder meines Lebens geschenkt, du mein grosser Freund in der anderen Welt, in der zeitlosen Dimension, hast ungeahnte Eigenschaften, immer noch, immer wieder und immer neu. Da war ich doch im Zweifel, wo ich mich in diesem heissen Sommer vom Zürichsee tragen lassen sollte, nein, nicht im Utoquai, auch nicht im Tiefenbrunnen, da war ich schon: Am Mythenquai wollte ich den Sandstrand suchen, dort, wo eigentlich dein Lieblingsort war, wo wir immer mit den Kindern badeten, Sandburgen bauten mit Wassergraben und ganzen Bewässerungssystemen und gleich auch noch etwas essen konnten am Schluss.

Das ist lange her, diese Kinder sind nun alle erwachsen. Und wie ich so allein am Abend über die grosse Wiese lief, um zum Restaurant zu gelangen – ein Nussgipfel und etwas Gesellschaft schwebten mir vor –, stolperten meine Füsse förmlich über die Feder: eine grosse schlanke schwarze Feder, die innen drin am Kiel entlang eine schmale weisse Feder gezeichnet hat: zwei Federn in einem, die schneeweisse wie gemalt. Wunderfein und ganz perfekt, kein Härchen an der falschen Stelle. Sofort fiel mir ein, was ich immer wieder in der Beziehung zu dir spüre: «I carry your heart, I carry it in my heart: wherever I go you go my dear …» (nach E. E. Cummings) – seit Jahren mein Lieblingsgedicht, weil es auf uns beide so gut passt  – und diese Feder ist eine genaue Metapher dieser «two in one».

Was für eine grosse Freude, ein Geschenk vom Himmel, ein Geschenk von dir, Gschposi, mein Herzallerliebster, und ein Geschenk zum Mitnehmen und Anfassen und Bestaunen – ein Wunder. Ja, du bist ganz nah, nichts kann uns trennen, auch dein Tod nicht. Seit du in der andern Dimension bist, sind wir, irgendwie, so innig verbunden wie nie.

Im I Ging lässt der Weise eine Feder fallen für die Menschen auf der Erde, damit sie etwas zum Anfassen haben: Ich danke dir! Deine Feder liegt nun neben deinem Foto auf unserem runden Esstisch, den wir vor 33 Jahren kauften. Hier esse ich immer allein, das heisst, mit dir!

 
 
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Ich wiegte mich im Gefühl, daheim zu sein

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Ein Pilzwunder